Ipanema, Posto 10, 17:00 Uhr. Selten oder nie kommt man hier hin und will eigentlich doch am liebsten jeden Tag hier sein. Einer der es geschafft hat ist Ronald Jatoba. Ronald wer? Google spuckt ein Video aus. Vor 19 Jahren von TV Globo produziert. Sein Beachvolleyballspot am Posto 10 sieht so aus wie heute, auch Ronald hat sich nicht großartig verändert, sein Lachen erkennt man sofort. Titel: „Der schlechteste Beachvolleyballer aller Zeiten“. Statistisch gesehen mag das stimmen, die Aussage täuscht dennoch: Ronald ist mit sich im Reinen. Er lacht viel. Den Job in einer Bank hat er aufgegeben für ein entspanntes Leben mit dem Ball am Strand. Er kennt sie alle, die aktuellen Stars der World Tour, die links und rechts des Posto 10 trainieren, sowie die Veteranen, hat viele von ihnen begleitet, war als Betreuer mit bei Olympia, anno 2004 in Athen. Ronald geht auf die 60 zu, hat aber das Verspielte, Kindische, Unbeschwerte nie verloren. Zudem ist er Brasilianer, per se nimmt er das Leben leicht. Und lebt im Moment. „Vida boa, vida boa“, erwähnt er mantraartig, ein gutes Leben. Sein Finger zeigt Richtung Dois Irmaos, die legendäre Silhouette der zwei Berge am Horizont. Besonders häufig zum Sonnenuntergang. Die göttliche Show ist jeden Tag anders, selbst er kann sich nicht sattsehen. Auch nicht nach Jahrzehnten. „Lindo, lindo. O sol, o sol“. Daumen hoch. Touristen und Cariocas ziehen am Spielfeld vorbei, fast alle zücken ihre Handys. An besonders exponierten Spots wird sogar applaudiert, aus Dankbarkeit, diese Überwältigungsästhetik erleben zu dürfen. Die Strandverkäufer bauen langsam ab, verkaufen uns ein letztes Wasser – „estupidamente gelada“, bescheuert eiskalt gekühlt, wünschen ein letztes Mal „boa praia“, einen guten Strand noch, wie man hier zu sagen pflegt. Am Wochenende bauen spätestens jetzt die Abendverkäufer entlang der Promenade ihre Stände auf. Es ist Februar, Sommer in Rio. Jedes Wochenende ist Ausnahmezustand. Em fevereiro tem carnaval. Als wenn Rio sich nicht tagtäglich schon genug feiert haben sie im Februar auch noch den Karneval. Momentan läuft die pre-carnaval Zeit, nicht minder exzessiv. Caipirinha wird in Fässern geliefert. Die Konzerte sind umsonst und draußen, die ganze Stadt, Favelados, Vagabundos, Blancos, Negros und Indios zieht es zu einer Bühne, vielleicht 200 Meter von unserem Spielfeld entfernt. Am Strand sind alle gleich, auch wenn auf dem Sand eine Bühne steht. Wir zocken derweil ein Spiel nach dem anderen aus und verpassen das Konzert. Die unvermeidliche Konsequenz all der schönen Dinge, die das Leben bietet. Nach dem Sonnenuntergang leuchtet das Flutlicht den Platz aus. Welch ein Arbeitsplatz. Unser Coach ist ehrgeizig, stets spielt Ronald selbst mit. Und will immer gewinnen. Die Psycho-Spielchen beherrscht der Filou wie kein Zweiter. Nach besonderen Ballwechseln lässt er sich auf die Knie fallen, Zeigefinger gen Himmel, „Ahhh Ga-ro-tin-ho“, Ahhh kleiner Junge, eine etwas eigenwillige Hommage an sich selbst. Bei eigener Führung betont er den Spielstand 4, 5 Mal. Unter Druck zeigt er sich als Meister des Zeitspiels. Zweimal täglich – um 7 Uhr für die Frühaufsteher und um 17 Uhr für die Fortgeschrittenen macht sich Ronald mit seinem verrosteten Lastenfahrrad – Marke Eigenbau – von seiner Wohnung an der Lagoa Rodrigo de Freitas – wahrscheinlich die spektakulärste Lagune der Welt – auf den Weg Richtung Strand. Man könnte auch sagen: von einem Weltwunder zum nächsten. Nicht mal 10 Minuten voneinander getrennt. Wenige 100 Meter entfernt baut sich das nächste Wunder auf, inmitten von Hügeln, der Regenwald, natürlich der größte innerstädtische der Welt. Cristo Redentor hat wie immer alles im Blick und wacht über die Schönheit der Natur. Wie gemalt, es ein Skandal. Zurück zum profanen Protagonisten: Netz, Bälle, sonstiges Equipment, alles hat Ronald dabei. Manchmal erscheint er allerdings nicht. Einfach so. Fragen in der Social Media Gruppe, ob gespielt wird, ignoriert er zuweilen geflissentlich. Stress mag er nicht, der Bankjob habe ihn damals krank gemacht. Wenn man merkt mit wie wenig man auskommen kann, fällt die Motivation Geld und Status weg. Einmal berichtet er kurz vor 17 Uhr von einem „unvorhergesehenem Ereignis“, die Session falle daher aus. Aber bitte keine Sorgen machen, es sei nicht so schlimm! Minuten später fragt er in derselben Gruppe (!) an, ob jemand mit ihm gleich ins Fussball Stadion gehen möchte. Als Deutscher ist man irritiert, schließlich hat man bezahlt und die Sporteinheit gedanklich fest in den Tagesablauf eingeplant. Doch kann man Ronald böse sein? Am nächsten Tag ist er wieder da, scherzt herum, redet ununterbrochen. Daumen hoch. „Vida boa, vida boa“. Insgeheim sind wir neidisch. Die aufrichtigste Form der Anerkennung. Ronald hat den schönsten Job der Welt. O Rio de Janeiro continua lindo!
Überwältigungsästhetik-was für ein Begriff-🤣🤣😎😎🌊🌊
Ein Meister des geschliffenen Wortes!